Phaedrus 4,26

Der Dichter
(1) Weiter oben habe ich erzählt, wie viel die Wissenschaften unter den Menschen gelten; welche Ehre jenen von den Göttern erwiesen worden ist, werde ich nun berichten.

(2) Eben jener Simonides, über den ich berichtet habe, suchte die Einsamkeit auf, um, für sicheren Lohn angestellt, für irgendeinen Sieger eines Faustkampfes ein Loblied zu verfassen.

(3) Weil der geringe Stoff den Schwung beschränkte, benutzte er Brauch und Freiheit eines Dichters und fügte das Doppelgestirn, die Söhne der Leda, ein, als Beispiel gleichen Ruhms stehend.

(4) Man hieß das Werk gut; aber er erhielt nur den dritten

Teil (1/3) seines Lohnes.

(5) Als er den Rest forderte, sprach er (der Sieger):

(6) "Jene werden ihn dir geben, die zwei Teile deines Lobes besitzen. (7) Aber sage dich mir zum Essen zu, damit man nicht meint, dass du zornig entlassen worden bist; ich will heute Freunde einladen, zu denen du mir zählst.“

(8) Obgleich betrogen und aufgrund des Unrechts betrübt, sagte er zu, damit eine Absage nicht dessen Gunst übel beschädigen würde.

(9) Er kehrte zur festgesetzten Stunde zurück und legte sich bei Tische nieder.

(10) Es glänzte das heitere Gastmahl mit seinen Bechern und das fröhliche Haus hallte vom großen Aufwand wider, als plötzlich 2 junge Männer, mit Staub bedeckt und von viel Schweiß überströmt, mit übermenschlichen Körpern, einem Sklaven auftragen, Simonides zu ihnen zu rufen; es sei im Interesse von jenem, dass er nicht bleibe. (11) Stürmisch ruft der Mann Simonides.

(12) Kaum bewegt er sich einen einzigen Schritt aus dem Speisezimmer, drückte der Einsturz der Decke plötzlich die anderen nieder; aber es waren keine jungen Männer an der Tür zu finden.

(13) Als die Abfolge des weitergegebenen Ereignisses allgemein bekannt geworden ist, wussten alle, dass die Gegenwart der Götter dem Dichter das Leben anstelle des Lohnes gewährten.