Phaedrus 3 Prolog

Latein

(1) Phaedri libellos legere si desideras,
uaces oportet, Eutyche, a negotiis,
ut liber animus sentiat uim carminis.
(2) "Verum" inquis "tanti non est ingenium tuum,
momentum ut horae pereat officiis meis."
(3) Non ergo causa est manibus id tangi tuis,
quod occupatis auribus non conuenit.
(4) Fortasse dices: "Aliquae uenient feriae,
quae me soluto pectore ad studium uocent."
(5) Legesne, quaeso, potius uiles nenias,
impendas curam quam rei domesticae,
reddas amicis tempora, uxori uaces,
animum relaxes, otium des corpori,
ut adsuetam fortius praestes uicem?
(6) Mutandum tibi propositum est et uitae genus,
intrare si Musarum limen cogitas.
(7) Ego, quem Pierio mater enixa est iugo,
in quo Tonanti sancta Mnemosyne Ioui,
fecunda nouies, artium peperit chorum,
quamuis in ipsa paene natus sim schola,
curamque habendi penitus corde eraserim,
nec Pallade hanc inuita in uitam incubuerim,
fastidiose tamen in coetum recipior.
(8) Quid credis illi accidere qui magnas opes
exaggerare quaerit omni uigilia,
docto labori dulce praeponens lucrum?
(9) Sed iam, "quodcumque fuerit," ut dixit Sinon
ad regem cum Dardaniae perductus foret,

librum exarabo tertium Aesopi stilo,

honori et meritis dedicans illum tuis.
(10) Quem si leges, laetabor; sin autem minus,
habebunt certe quo se oblectent posteri.
(11) Nunc, fabularum cur sit inuentum genus, breui docebo.

(12) Seruitus obnoxia,
quia quae uolebat non audebat dicere,
affectus proprios in fabellas transtulit,
calumniamque fictis elusit iocis.
(13) Ego illius pro semita feci uiam,
et cogitaui plura quam reliquerat,
in calamitatem deligens quaedam meam.
(14) Quodsi accusator alius Seiano foret,
si testis alius, iudex alius denique,
dignum faterer esse me tantis malis,
nec his dolorem delenirem remediis.
(15) Suspicione si quis errabit sua,
et, rapiens ad se quod erit commune omnium,
stulte nudabit animi conscientiam,
huic excusatum me uelim nihilo minus.
(16) Neque enim notare singulos mens est mihi,
uerum ipsam uitam et mores hominum ostendere.
(17) Rem me professum dicet fors aliquis grauem.
(18) Si Phryx Aesopus potuit, si Anacharsis Scythes
aeternam famam condere ingenio suo,
ego litteratae qui sum proprior Graeciae,
cur somno inerti deseram patriae decus,
(19) Threissa cum gens numeret auctores deos,
Linoque Apollo sit parens, Musa Orpheo,
qui saxa cantu mouit et domuit feras
Hebrique tenuit impetus dulci mora?
(20) Ergo hinc abesto, Liuor, ne frustra gemas,
quom iam mihi sollemnis dabitur gloria.
(21) Induxi te ad legendum?

(22) Sincerum mihi
candore noto reddas iudicium peto.

Deutsch

(1) Wenn du es wünschst, Eutychus, die Fabeln des Phaedrus zu lesen, ist es nötig, dass du frei von Pflichten bist, so dass dein freier Geist die Kraft der Dichtung fühlt.

(2) Du sagst: "Dein Talent ist aber nicht so groß, dass die aufgrund meiner Pflichten Wichtigkeit der Stunde verschwindet."

(3) Folglich ist es nicht von Interesse, dass mit deinen Händen berührt wird, was zu deinen beschäftigten Ohren nicht passt.

(4) Du wirst vielleicht sagen: "Irgendwelche Ferientage werden kommen, die mich mit sorgenfreiem Herzen zum Studium rufen."

(5) Ich frage, wirst du eher unbedeutende Lieder lesen, als dass du deine Sorge auf deine häusliche Pflicht verwendest, deinen Freunden Zeit spendest, dich deiner Gattin widmest, deinen Geist erholst und du deinen Körper Ruhe gewährst, so dass du die gewohnte Aufgabe stärker bewältigst?

(6) Du musst Zweck und Art deines Lebens ändern, wenn du vorhast, die Schwelle der Musen zu übertreten.

(7) Ich, den die Mutter auf dem pierischen Berg gebar, auf dem die heilige Mnemosyne, neunmal fruchtbar, dem donnernden Jupiter den Chor der Künste hervorgebracht hat, der ich beinahe in genau ihrer Schule geboren worden bin, mir gänzlich die Bemühung nach Besitz aus dem Herzen getilgt habe und mich in diesem Leben nicht unfreiwillig dieser Kunstfertigkeit gewidmet habe, werde dennoch voll Widerwillen in dieser Vereinigung gebilligt.

(8) Was glaubst du passiert jenem, der mit seinem ganzem Eifer danach trachtet, großen Reichtum anzuhäufen, weil er den süßen Gewinn der gelehrten Arbeit vorzieht?

(9) Dann wird nun sein, was auch immer sein wird, wie Sinon sprach, als er zum König von Troja geführt wurde, ich werde mein drittes Buch im Stile des Äsop abfassen und jenes deinem Ruhm und deinen Verdiensten widmen.

(10) Wenn du es lesen wirst, werde ich mich freuen; wenn aber weniger, dann wird gewiss die Nachwelt etwas haben, woran sie sich erfreuen kann.

(11) Jetzt werde ich kurz erklären, warum die Art der Fabeln erfunden worden ist.

(12) Weil der abhängige Sklavenstand es nicht wagte, zu sagen, was er wollte, übertrug er die eigenen Stimmungen in die Fabeln und verspottete die Rechtsverdrehung mit erdachten Scherzen.

(13) Ich habe den Pfad von jenem beschritten, habe mir mehr ausgedacht als er zurückgelassen hatte und gewisse Dinge zu meinem Nachteil ausgewählt.

(14) Wenn nun ein anderer als Seian Ankläger wäre, wenn ein anderer Zeuge und zuletzt ein anderer Richter wäre, dann würde ich gestehen, dass ich eines so großen Unglücks würdig wäre, und ich würde den Schmerz mit diesen Heilmitteln nicht mildern.

(15) Wenn irgendwer aufgrund seines Verdachtes sich irren wird und auf sich beziehen wird, was für die Allgemeinheit steht, dann wird er töricht das Schuldbewusstsein seines Charakters offenlegen; keineswegs möchte ich mich vor diesem rechtfertigen.

(16) Denn es liegt nicht in meiner Absicht, auf einzelne anzuspielen, sondern das Leben selbst und die Sitten der Menschen zu zeigen.

(17) Irgendeiner wird vielleicht sagen, dass ich einen schwierigen Gegenstand versprochen habe.

(18) Wenn es der Phryger Äsop und der Skythe Anarcharsis vermochten, mit ihrer Begabung ewigen Ruhm zu gründen, warum sollte ich, der ich den gelehrten Griechen näher bin, in trägem Schlummer den Ruhm des Vaterlandes verfehlen?

(19) Schließlich zählt das thrakische Volk ja auch ihre göttlichen Dichter auf: Linus stammt von Apollo ab, und Orpheus, der mit seinem Gesang Felsen bewegte, wilde Tiere zähmte und den Ansturm des Hebrus mit süßem Hindernis aufhielt, von einer Muse.

(20) Verschwinde also von hier, Missgunst, vergeblich stöhnst du, weil mir ja bald feierlicher Ruhm gewährt werden wird.

(21) Habe ich dich zum Lesen bewegt?

(22) Du mögest mir mit bekannter Aufrichtigkeit dein ehrliches Urteil geben, ich bitte darum.