Phaedrus 3,8

Latein

Soror ad Fratrem

(1) Praecepto monitus saepe te considera.
(2) Habebat quidam filiam turpissimam,
idemque insignem pulchra facie filium.
(3) Hi speculum, in cathedra matris ut positum fuit,
pueriliter ludentes forte inspexerunt.
(4) Hic se formosum iactat; illa irascitur
nec gloriantis sustinet fratris iocos,
accipiens (quid enim?) cuncta in contumeliam.
(5) Ergo ad patrem decurrit laesura inuicem,
magnaque inuidia criminatur filium,
uir natus quod rem feminarum tetigerit.
(6) Amplexus ille utrumque et carpens oscula
dulcemque in ambos caritatem partiens,
"Cotidie" inquit "speculo uos uti uolo,
tu formam ne corrumpas nequitiae malis,
tu faciem ut istam moribus uincas bonis."

Deutsch

Schwester und Bruder
(1) Gedenke dieser Mahnung und betrachte dich oft selbst.

(2) Ein Mann hatte eine sehr hässliche Tochter und ebenso einen Sohn, auffallend durch sein schönes Gesicht.

(3) Diese schauten, während sie kindlich spielten, zufällig in einen Spiegel, der er auf dem Tisch ihrer Mutter aufgestellt war.

(4) Dieser prahlt, dass er schön sei; jene erzürnt, hält die Scherze des sich rühmenden Bruders nicht aus und fasst (Was sonst?) alles als Kränkung auf.

(5) Weil sie ihn dagegen verletzen will, läuft sie zum Vater und beschuldigt mit großem Vorwurf den Sohn, dass er als Mann geboren einen Gegenstand der Frauen berühre.

(6) Jener umarmte beide, küsste sie, teilte seine süße Zuneigung zwischen beiden auf und sagte: „Ich will, dass ihr täglich den Spiegel benutzt, damit du nicht deine Schönheit durch das Übel der Verdorbenheit verdirbst, und du dieses dein Aussehen mit guten Sitten übertriffst."