Phaedrus 3,7

Latein

Lupus ad Canem

(1) Quam dulcis sit libertas breuiter proloquar.
(2) Cani perpasto macie confectus lupus
forte occurrit; dein, salutati inuicem
ut restiterunt,

(3) "Unde sic, quaeso, nites?

(4) Aut quo cibo fecisti tantum corporis?
(5) Ego, qui sum longe fortior, pereo fame."
(6) Canis simpliciter: "Eadem est condicio tibi,
praestare domino si par officium potes."
(7) "Quod?" inquit ille.

(8) "Custos ut sis liminis,
a furibus tuearis et noctu domum.
(9) Adfertur ultro panis; de mensa sua
dat ossa dominus; frusta iactat familia,
et quod fastidit quisque pulmentarium.
(10) Sic sine labore uenter impletur meus."
(11) "Ego uero sum paratus: nunc patior niues
imbresque in siluis asperam uitam trahens.
(12) Quanto est facilius mihi sub tecto uiuere,
et otiosum largo satiari cibo!"
(13) "Veni ergo mecum."

(14) Dum procedunt, aspicit
lupus a catena collum detritum cani.
(15) "Unde hoc, amice?"

(16) "Nil est."

(17) "Dic, sodes, tamen."
(18) "Quia uideor acer, alligant me interdiu,
luce ut quiescam, et uigilem nox cum uenerit:
crepusculo solutus qua uisum est uagor."
(19) "Age, abire si quo est animus, est licentia?"
(20) "Non plane est" inquit.

(21) "Fruere quae laudas, canis;
regnare nolo, liber ut non sim mihi."

Deutsch

Der Wolf zum Hund 
(1) Ich werde kurz erzählen, wie süß die Freiheit ist.

(2) Ein durch Magerkeit geschwächter Wolf begegnete zufällig einem wohlgenährten Hund; dann, als sie sich gegrüßt hatten, blieben sie stehen.

(3) "Woher, frage ich, bist du so wohlgenährt?

(4) Oder durch welche Speise hast du dir einen solchen Körper geschaffen?

(5) Ich, der ich weitaus stärker bin, gehe durch den Hunger zugrunde."

(6) Der Hund sagte lediglich: "Für dich gibt es dasselbe Angebot, wenn du dem Herrn den gleichen Dienst erweisen kannst."

(7)  "Welchen?", fragte jener.

(8) "Wenn du am Eingang der Wächter bist und nachts das Haus vor Dieben beschützt.

(9) Aus freien Stücken wird Brot gebracht; der Herr gibt mir Knochen von seinem Tisch; die Hausgemeinschaft wirft Stücke hin, und ein jeder die Zukost, die er nicht mag.

(10) So wird man Bauch ohne Mühe gesättigt."

(11) „Ich bin freilich bereit: Derzeit ertrage ich Schnee und Regenschauer und führe ein hartes Leben in den Wäldern.

(12) Um wie viel leichter ist es für mich unter einem Dach zu leben und müßig durch reichliche Speise gesättigt zu werden!"

(13) „Komm also mit mir."

(14) Während sie voranschreiten, erblickt der Wolf den gescheuerten Hals des Hundes.

(15) „Woher ist das, Freund?"

(16) „Es ist nichts."

(17) „Sag es gefälligst dennoch."

(18) „Weil ich bissig erscheine, binden sie mich tagsüber an, so dass ich am Tage ruhe, und wenn die Nacht kommt, wache ich: Zur Abenddämmerung befreit, schweife ich umher, wo es mir beliebt." (19) „Wohlan, ist es deine Freiheit, wegzugehen, wohin dir der Sinn steht?"

(20) „Ist es ganz und gar nicht", sagte er.

(21) „Genieße, was du lobst, Hund; ich will nicht so herrschen (leben), dass ich mir nicht frei bin."