Phaedrus 3,15

Latein

Canis ad Agnum

(1) Inter capellas agno palanti canis
"Stulte" inquit "erras; non est hic mater tua."
(2) Ouesque segregatas ostendit procul.
(3) "Non illam quaero quae cum libitum est concipit,
dein portat onus ignotum certis mensibus,
nouissime prolapsam effundit sarcinam;
uerum illam quae me nutrit admoto ubere,
fraudatque natos lacte ne desit mihi."
(4) "Tamen illa est potior quae te peperit."

(5) "Non ita.
(6) Beneficium sane magnum natali dedit,
ut expectarem lanium in horas singulas!
(7) Vnde illa sciuit niger an albus nascerer?
(8) Age porro, parere si uoluisset feminam,
quid profecisset cum crearer masculus?
(9) Cuius potestas nulla in gignendo fuit,
cur hac sit potior quae iacentis miserita est,
dulcemque sponte praestat beneuolentiam?
(10) Facit parentes bonitas, non necessitas."
(11) His demonstrare uoluit auctor uersibus
obsistere homines legibus, meritis capi.

Deutsch

Der Hund zum Lamm 
(1) Zu einem Lamm, das zwischen Ziegen umherschweifte, sagte ein Hund: „Dummkopf, du irrst dich; hier ist deine Mutter nicht."

(2) Er zeigte auf die von der Herde abgesonderten Schafe in der Ferne.

(3) „Ich suche nicht jene, die mich empfängt, als es ihr beliebte, mich dann als unbekannte Last durch die festgesetzten Monate trägt und zuletzt die vorwärts gerutschte Bürde hervorbringt; aber (ich suche) jene, die mich nährt, mir ihren Euter hinhält und die Ihren um die Milch betrügt, damit sie mir nicht fehlt."

(4) Dennoch ist dir jene näher, die dich zur Welt brachte."

(5) „Nicht so.

(6) Sie gab mir freilich eine für die Geburt große Wohltat, dass ich nämlich jede einzelne Stunde den Metzger erwarte!

(7) Woher wusste jene, ob ich schwarz oder weiß geboren würde?

(8) Und weiter: Wenn sie ein Weibchen hätte gebären wollen, was hätte es genützt, weil ich ja als Männchen gezeugt wurde?

(9) Bei dessen Geburt hatte sie keinen Einfluss; warum sollte sie mir lieber sein als diese, die sich für den am Boden Liegenden erbarmte und ihm aus eigenem Antrieb süßes Wohlwollen gewährt?

(10) Die Güte schafft die Eltern, nicht der Zwang."

(11) Der Autor wollte mit diesen Versen zeigen, dass Menschen sich den Vorschriften widersetzen und durch Verdienste ergriffen werden.