Die große Flut

Latein

(1) Iamque erat in totas sparsurus fulmina terras;
sed timuit, ne forte sacer tot ab ignibus aether
conciperet flammas longusque ardesceret axis:               255
esse quoque in fatis reminiscitur, adfore tempus,
quo mare, quo tellus correptaque regia caeli
ardeat et mundi moles obsessa laboret.
(2) Tela reponuntur manibus fabricata cyclopum;
poena placet diversa, genus mortale sub undis               260
perdere et ex omni nimbos demittere caelo.

 

(3) Protinus Aeoliis Aquilonem claudit in antris
et quaecumque fugant inductas flamina nubes
emittitque Notum.

(4) Madidis Notus evolat alis,
terribilem picea tectus caligine vultum;               265
barba gravis nimbis, canis fluit unda capillis;
fronte sedent nebulae, rorant pennaeque sinusque.
(5) Utque manu lata pendentia nubila pressit,
fit fragor: hinc densi funduntur ab aethere nimbi;
nuntia Iunonis varios induta colores               270
concipit Iris aquas alimentaque nubibus adfert.
(6) Sternuntur segetes et deplorata coloni
vota iacent, longique perit labor inritus anni.

 

(7) Nec caelo contenta suo est Iovis ira, sed illum
caeruleus frater iuvat auxiliaribus undis.               275
(8) Convocat hic amnes: qui postquam tecta tyranni
intravere sui, "non est hortamine longo
nunc" ait "utendum; vires effundite vestras:
sic opus est!

(9) Aperite domos ac mole remota
fluminibus vestris totas inmittite habenas!"              280
(9b) iusserat; hi redeunt ac fontibus ora relaxant
et defrenato volvuntur in aequora cursu.

 

(10) Ipse tridente suo terram percussit, at illa
intremuit motuque vias patefecit aquarum.
(11) Exspatiata ruunt per apertos flumina campos               285
cumque satis arbusta simul pecudesque virosque
tectaque cumque suis rapiunt penetralia sacris.
(12) Si qua domus mansit potuitque resistere tanto
indeiecta malo, culmen tamen altior huius
unda tegit, pressaeque latent sub gurgite turres.               290
(13) Iamque mare et tellus nullum discrimen habebant:
omnia pontus erant, derant quoque litora ponto.

 

(14) Occupat hic collem, cumba sedet alter adunca
et ducit remos illic, ubi nuper arabat:
ille supra segetes aut mersae culmina villae               295
navigat, hic summa piscem deprendit in ulmo.
(15) Figitur in viridi, si fors tulit, ancora prato,
aut subiecta terunt curvae vineta carinae;
et, modo qua graciles gramen carpsere capellae,
nunc ibi deformes ponunt sua corpora phocae.               300
(16) Mirantur sub aqua lucos urbesque domosque
Nereides, silvasque tenent delphines et altis
incursant ramis agitataque robora pulsant.
(17) Nat lupus inter oves, fulvos vehit unda leones,
unda vehit tigres; nec vires fulminis apro,               305
crura nec ablato prosunt velocia cervo,
quaesitisque diu terris, ubi sistere possit,
in mare lassatis volucris vaga decidit alis.
(18) Obruerat tumulos inmensa licentia ponti,
pulsabantque novi montana cacumina fluctus.               310
(19) Maxima pars unda rapitur; quibus unda pepercit,
illos longa domant inopi ieiunia victu.

Deutsch

(1) Und schon war er im Begriff Blitze über die ganze Erde zu schleudern; aber er fürchtete, dass der heilige Äther von so vielen Feuern zufällig in Flammen geraten würde und die lange Himmelsachse in Brand geraten würde:

Auch erinnert er sich an die Weissagung, dass eine Zeit kommen werde, in der das Meer, die Erde und der übermannte Palast des Himmels brennen werde und der kunstvolle Bau der Welt in Gefahr sei.

(2) Er legt die von den Händen der Zyklopen geschaffenen Waffen weg; ihm gefällt die entgegengesetzte Strafe, das sterbliche Geschlecht in den Fluten zu vernichten und aus dem ganzen Himmel Regenschauer hinab zu schicken.

(3) Sofort verschließt er in den aeolischen Höhlen den Nordwind und alle Winde, welche heraufgezogene Wolken vertreiben, und er lässt den Südwind heraus.

(4) Der Südwind fliegt mit triefenden Schwingen heraus, sein schreckliches Antlitz ist bedeckt mit pechschwarzer Finsternis; der Bart ist schwer durch die Regengüsse, vom grauen Haar fließt Wasser herab; an der Stirn sitzen Nebel, die Flügel und das Gewand triefen.

(5) Und sobald er mit seiner Hand die weithin hängenden Wolken gedrückt hat, entsteht ein Krachen: Darauf ergießen sich dichte Regengüsse aus dem Äther; Iris, die Botin der Juno, in verschiedene Farben gekleidet, nimmt Wasser auf und bringt sie den Wolken als Nahrung.

(6) Die Saaten werden zu Boden gestreckt und die Hoffnung (wörtl. Wünsche) der Bauern ist aufgegeben und liegt (am Boden), und die vergebliche Mühe eines langen Jahres ist verloren.

(7) Und der Zorn Jupiters ist nicht allein zufrieden mit seinem Himmel, sondern jenem hilft sein blauer Bruder mit unterstützenden Wogen.

(8) Dieser ruft die Flüsse zusammen: Nachdem sie das Haus ihres Tyrannen betreten haben, spricht dieser: "Es bedarf jetzt keiner langen Ermunterung; ergießt eure Kräfte: So ist es notwendig!

(9) Öffnet eure Häuser und lasst nach Entfernung der Dämme euren Fluten sämtliche Zügel schießen!"

(9b) Er hatte es befohlen; diese kehren zurück, öffnen den Quellen die Münder und wälzen sich im zügellosen Lauf ins Meer.

(10) Er (Neptun) selbst hat die Erde mit seinem Dreizack erschüttert, jene dagegen zitterte und öffnete durch die Erschütterung Wasserwege.

(11) Die aus den Ufern getretenen Flüsse stürzen über offene Felder und reißen mit den Saaten zugleich Sträucher, Vieh, Menschen, Häuser und Hauskapellen mit den heiligen Gegenständen mit sich.

(12) Wenn irgendwo ein Haus bestehen blieb und, durch das so große Unglück nicht niedergeworfen, widerstehen konnte, berührte die höhere Woge dennoch dessen Giebel, und die Türme sind, niedergedrückt unter dem Strudel, verborgen.

(13) Schon hatten Meer und Erde keinen Unterschied: Alles war Meer; auch die Küsten fehlten dem Meer.

(14) Dieser besetzt einen Hügel, ein anderer sitzt im gebogenen Kahn und führt die Ruder dorthin, wo er neulich noch gepflügt hat: Jener segelt über Saatfelder oder über die Giebel versunkener Landhäuser, dieser ergreift im Wipfel einer Ulme einen Fisch.

(15) Wenn der Zufall es mit sich brachte, haftet der Anker in der grünen Wiese, oder gebogene Schiffe reiben an den darunterliegenden Weinbergen; und wo eben schlanke Ziegen Gras abgerupft haben, dort liegen nun unförmige Robben ihre Körper nieder.

(16) Die Nereiden bewundern unter der Wasseroberfläche Haine, Städte und Häuser, und Delphine bewohnen die Wälder; sie stoßen an die hohen Äste und bewegen mit (häufigen) Schlägen die Eichenstämme hin und her.

(17) Es schwimmt ein Wolf unter Schafen, er treibt eine Woge bräunliche Löwen fort, eine Woge treibt Tiger fort, nicht nützen die Kräfte des Blitzes dem Eber, nicht flinke Läufe dem fortgerissenen Hirschen, und nachdem der umherfliegende Vogel lange Land gesucht hat, wo er sich niederlassen könnte, fällt er mit erschöpften Schwingen ins Meer.

(18) Die gewaltige Zügellosigkeit des Meeres hatte die Hügel bedeckt, und neue Fluten stießen gegen die Berggipfel.

(19) Der größte Teil wird von der Welle dahingerafft; jene, die die Welle verschont hat, bezwingt aufgrund mangelnder Nahrung langer Hunger.