Deucalion und Pyrrha

Latein

(1) Separat Aonios Oetaeis Phocis ab arvis,
terra ferax, dum terra fuit, sed tempore in illo
pars maris et latus subitarum campus aquarum.               315
(2) Mons ibi verticibus petit arduus astra duobus,
nomine Parnasos, superantque cacumina nubes.
(3) Hic ubi Deucalion (nam cetera texerat aequor)
cum consorte tori parva rate vectus adhaesit,
Corycidas nymphas et numina montis adorant               320
fatidicamque Themin, quae tunc oracla tenebat:
non illo melior quisquam nec amantior aequi
vir fuit aut illa metuentior ulla deorum.
(4) Iuppiter ut liquidis stagnare paludibus orbem
et superesse virum de tot modo milibus unum,               325
et superesse vidit de tot modo milibus unam,
innocuos ambo, cultores numinis ambo,
nubila disiecit nimbisque aquilone remotis
et caelo terras ostendit et aethera terris.
(5) Nec maris ira manet, positoque tricuspide telo               330
mulcet aquas rector pelagi supraque profundum
exstantem atque umeros innato murice tectum
caeruleum Tritona vocat conchaeque sonanti
inspirare iubet fluctusque et flumina signo
iam revocare dato: cava bucina sumitur illi,               335
tortilis in latum quae turbine crescit ab imo,
bucina, quae medio concepit ubi aera ponto,
litora voce replet sub utroque iacentia Phoebo;
tum quoque, ut ora dei madida rorantia barba
contigit et cecinit iussos inflata receptus,               340
omnibus audita est telluris et aequoris undis,
et quibus est undis audita, coercuit omnes.
(6) Iam mare litus habet, plenos capit alveus amnes,
flumina subsidunt collesque exire videntur;
surgit humus, crescunt sola decrescentibus undis,               345
postque diem longam nudata cacumina silvae
ostendunt limumque tenent in fronde relictum.
     

(7) Redditus orbis erat; quem postquam vidit inanem
et desolatas agere alta silentia terras,
Deucalion lacrimis ita Pyrrham adfatur obortis:               350
"o soror, o coniunx, o femina sola superstes,
quam commune mihi genus et patruelis origo,
deinde torus iunxit, nunc ipsa pericula iungunt,
terrarum, quascumque vident occasus et ortus,
nos duo turba sumus; possedit cetera pontus.               355
(8) Haec quoque adhuc vitae non est fiducia nostrae
certa satis; terrent etiamnum nubila mentem.
(9) Quis tibi, si sine me fatis erepta fuisses,
nunc animus, miseranda, foret? (10) Quo sola timorem
ferre modo posses? (11) Quo consolante doleres!               360
(12) Namque ego (crede mihi), si te quoque pontus haberet,
te sequerer, coniunx, et me quoque pontus haberet.
(13) O utinam possim populos reparare paternis
artibus atque animas formatae infundere terrae!
(14) Nunc genus in nobis restat mortale duobus.               365
(15) Sic visum superis: hominumque exempla manemus."
dixerat, et flebant: placuit caeleste precari
numen et auxilium per sacras quaerere sortes.
(16) Nulla mora est: adeunt pariter Cephesidas undas,
ut nondum liquidas, sic iam vada nota secantes.               370
(17) Inde ubi libatos inroravere liquores
vestibus et capiti, flectunt vestigia sanctae
ad delubra deae, quorum fastigia turpi
pallebant musco stabantque sine ignibus arae.
(18) Ut templi tetigere gradus, procumbit uterque               375
pronus humi gelidoque pavens dedit oscula saxo
atque ita "si precibus" dixerunt "numina iustis
victa remollescunt, si flectitur ira deorum,
dic, Themi, qua generis damnum reparabile nostri
arte sit, et mersis fer opem, mitissima, rebus!"             380
     

(19) Mota dea est sortemque dedit: "discedite templo
et velate caput cinctasque resolvite vestes
ossaque post tergum magnae iactate parentis!"
obstupuere diu: rumpitque silentia voce
Pyrrha prior iussisque deae parere recusat,               385
detque sibi veniam pavido rogat ore pavetque
laedere iactatis maternas ossibus umbras.
(20) Interea repetunt caecis obscura latebris
verba datae sortis secum inter seque volutant.
(21) Inde Promethides placidis Epimethida dictis               390
mulcet et "aut fallax" ait "est sollertia nobis,
aut (pia sunt nullumque nefas oracula suadent!)
magna parens terra est: lapides in corpore terrae
ossa reor dici; iacere hos post terga iubemur."
     

(22) Coniugis augurio quamquam Titania mota est,               395
spes tamen in dubio est: adeo caelestibus ambo
diffidunt monitis; sed quid temptare nocebit?
(23) Descendunt: velantque caput tunicasque recingunt
et iussos lapides sua post vestigia mittunt.
(24) Saxa (quis hoc credat, nisi sit pro teste vetustas?)               400
ponere duritiem coepere suumque rigorem
mollirique mora mollitaque ducere formam.
(25) Mox ubi creverunt naturaque mitior illis
contigit, ut quaedam, sic non manifesta videri
forma potest hominis, sed uti de marmore coepta               405
non exacta satis rudibusque simillima signis,
quae tamen ex illis aliquo pars umida suco
et terrena fuit, versa est in corporis usum;
quod solidum est flectique nequit, mutatur in ossa,
quae modo vena fuit, sub eodem nomine mansit,               410
inque brevi spatio superorum numine saxa
missa viri manibus faciem traxere virorum
et de femineo reparata est femina iactu.
(26) Inde genus durum sumus experiensque laborum
et documenta damus qua simus origine nati.               415

Deutsch

(1) Phocis trennt die Aonier vom oetaeischen Gebiet, ein fruchtbares Land, solange es Land war, aber zu jener Zeit war es ein Teil des Meeres und eine weite Fläche plötzlichen Wassers.

(2) Dort erklimmt ein steiler Berg mit 2 Gipfeln die Sterne, der Parnaß heißt, und seine Gipfel überragen die Wolken.

(3) Sobald Deucalion hier, denn das Wasser hatte das übrige bedeckt, mit seiner Ehefrau bei ihrer Fahrt hängengeblieben ist, beten sie zu den corycischen Nymphen, den Gottheiten des Berges und zur weissagenden Themis, die damals ein Orakel innehatte:

Es gab keinen besseren oder ähnlich liebenswerteren Mann als jenen und keine Frau, die gottesfürchtiger war.

(4) Als Jupiter sah, dass der Erdkreis von stehenden Sümpfen überschwemmt war und von eben noch so vielen Tausenden nur ein einziger Mann und von eben noch so vielen Tausenden eine einzige Frau übrig war, beide unschuldig, beide Verehrer der Gottheit, trieb er die Wolken auseinander, entfernte die Regenschauer durch den Nordwind und zeigte dem Himmel die Erde und der Erde den Äther.

(5) Auch der Zorn des Meeres bleibt nicht; und der Beherrscher des Meeres legt den Dreizack nieder, glättet das Wasser und ruft den blauen Triton, welcher über die Meerestiefe emporragt, die Schultern von eingewachsenen Purpurschnecken bedeckt, und befiehlt ihm, in die hohle Muschel zu blasen und die Fluten und Flüsse auf ein gegebenes Zeichen bereits zurückzurufen: Von jenem wird das hohle Horn ergriffen, das gewunden von der untersten Windung in die Weite wächst; sobald dieses Horn direkt auf dem Meer Luft aufgenommen hat, erfüllt er die Küsten mit seiner Stimme, welche zu beiden Seiten der Sonne liegen; auch damals; als es den Mund des Gottes, dessen nasser Bart feucht war, berührte und es aufgebläht, wie befohlen, zum Rückzug blies, ist es von allen Wogen, den des Landes und des Wassers, gehört worden, und es schloss alle ein, von denen es gehört worden ist.

(6) Das Meer hat bereits eine Küste, das Flussbett nimmt die Flüsse ganz auf, die Flüsse senken sich und die Hügel sieht man auftauchen; der Boden erhebt sich, die Erde wächst aufgrund der abnehmenden Wogen, und nach einem langen Tag zeigen sich die entblößten Wipfel des Waldes, und diese tragen zurückgelassenen Schlamm auf dem Laub.

(7) Die Welt war zurückgegeben worden; nachdem er sie so leer und die verödeten Länder in tiefer Stille hatte verharren gesehen, da sprach Deucalion unter hervorbrechenden Tränen so zu Pyrrha:

"O Schwester, O Ehefrau und einzige überlebende Frau, die die gemeinsame Abstammung, die väterliche Herkunft und darauf die Ehe mit mir verband, nun verbinden uns selbst die Gefahren; welche Länder auch immer der Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sieht, wir beide sind die Menschenmenge; das Meer besitzt das übrige.

(8) Auch jetzt gibt es keine ausreichend sichere Zuversicht für unser Leben; die Wolken erschrecken immer noch mein Gemüt.

(9) Wie wäre dir, Bedauernswerte, jetzt zu Mute, wenn du ohne mich dem Schicksal entrissen worden wärst?

(10) Wie könntest du nur allein die Angst ertragen?

(11) Du würdest leiden, und durch wen getröstet werden?

(12) Denn, glaub mir, wenn das Meer auch dich besäße, würde ich dir folgen, Gattin, und das Meer besäße auch mich.

(13) Könnte ich doch durch die väterlichem Künste die Völker erneuern und der geformten Erde Leben einhauchen!

(14) Nun ist das menschliche Geschlecht in uns beiden übrig.

(15) So erschien es den Göttern richtig: Wir bleiben als Abbildungen der Menschen übrig.“

er hatte gesprochen und sie weinten: Man beschloss, zu einer himmlischen Gottheit zu beten und beim heiligen Orakel um Hilfe zu fragen.

(16) Es gibt keinen Verzug: Auch zum cephisischem Strom gingen sie, der zwar noch nicht wieder klar war, doch seinen üblichen Verlauf hatte. 

(17) Dort entnahmen sie ein wenig Wasser und befeuchteten sich an der Kleidung und am Haupt und lenkten ihre Schritte zum Heiligtum der heiligen Göttin, dessen Giebel durch das Moos hässlich gefärbt waren, und der Altar zeigte sich ohne Feuer.

(18) Als sie die Stufen des Tempels berührten, warf sich ein jeder von beiden vornüber zu Boden und küsste zitternd den kalten Stein, und so sprachen sie: "Wenn durch gerechte Bitten umgestimmte Gottheiten sich erweichen lassen, wenn der Zorn der Götter beschwichtigt wird, sag, Themis, auf welche Weise der Verlust unseres Geschlechtes ersetzbar ist, und hilf, Gnädigste, der untergegangenen Welt!“

(19) Die Göttin wurde gerührt und gab ein Orakelspruch: "Geht aus dem Tempel, verhüllt euer Haupt, bindet eure übrigen Kleider los und werft die Knochen der großen Mutter hinter euren Rücken!"

Lange staunten sie: Pyrrha bricht mit ihrer Stimme als erste das Schweigen und weigert sich, den Befehlen der Göttin zu gehorchen, und sie bittet mit ängstlicher Stimme, sie möge ihr verzeihen, und fürchtet sich durch das Werfen der Knochen die mütterlichen Schatten zu verletzen.

(20) Inzwischen wiederholen sie für sich die durch dunkle Rätsel geheimnisvollen Worte des gegebenen Orakels und überdenken sie untereinander.

(21) Dann beschwichtigt der Sohn des Prometheus die Tochter des Epimetheus mit sanften Worten und sagt: "Entweder besitze ich eine trügerische Schlauheit oder der Orakelspruch ist fromm und rät nicht zu einem Frevel und mit der große Mutter ist die Erde gemeint: Ich glaube, dass die Steine im Körper der Erde als Knochen bezeichnet werden; uns wird befohlen, diese hinter unseren Rücken zu werfen." (22) Obwohl die Titanentochter durch die Auslegung des Gatten beeindruckt wurde, ist die Hoffnung dennoch zweifelhaft: So sehr misstrauen die beiden himmlischen Mahnungen; was aber wird es schaden, es zu versuchen?

(23) Sie steigen herab, verhüllen das Haupt, gürten ihre Tuniken auf und werfen, wie befohlen, Steine hinter ihre Fährten.

(24) Die Steine, wer möge dies glauben, wenn nicht das Alter anstelle eines Zeugen stünde? (begannen ihre Festigkeit und ihre Starre abzulegen, mit einer Verzögerung weich zu werden und, nachdem sie weich geworden sind, eine Form anzunehmen).

(25) Sobald als sie gewachsen sind und jenen eine sanftere Natur zuteil wurde, kann man eine gewisse, noch nicht ganz deutliche Form eines Menschen sehen, aber so wie bei angefangenem und nicht ausreichend vollendetem Marmor, unfertigen Bildnissen sehr ähnlich; was von jenen dennoch durch irgendeinen Saft nass und erdig war, wurde zum Gebrauch des Körpers umgewandelt; was fest ist und nicht gebogen werden kann, wird in Knochen gewandelt, und was eben eine Ader war, blieb unter demselben Namen bestehen, und in einem kurzen Zeitraum nahmen durch die Macht der Götter die von den Händen des Mannes geworfenen Steine das Aussehen von Männern an, und vom weiblichen Wurf wurde die Frau wiederhergestellt.

(26) Deshalb sind wir ein hartes Geschlecht und erfahren in Mühen, und geben so den Beweis dafür, welchem Ursprung wir entstammen.